Pillen

Und ich wollte sie erst gar nicht…

Bestimmt zwei Jahre habe ich mich vehement und strikt geweigert, sie auch nur in Erwägung zu ziehen. Ich dachte, wie sollen sie mir helfen, was soll das schon bringen und auch einfach, nö, ich will nicht. Davon wird man abhängig oder dick oder schläft nur oder, oder, oder. Mir fielen bestimmt noch zehn Gründe ein, die ich dagegen vorgebracht habe.

Und nun nehme ich sie doch und das schon seit ca. vier Monaten. Und was soll ich sagen? Es geht mir gut. Ich bin (meistens) fröhlich, habe wesentlich weniger Schmerzen, schlafe besser ein und durch und kann mich wieder für Sachen und Dinge begeistern. Dabei ist die Dosis relativ gering, doch sie ist anscheinend ausreichend, um mir und meinem Körper ein gewisses Wohlgefühl zu vermitteln.

Aus gar nicht wurde irgendwann na gut...

Die Rede ist von meinen Glückspillen, in medizinischen Fachkreisen auch Psychopharmaka genannt. Syneudon heißt meine ganz persönliches “Wunderpille” von der ich zwar täglich nur ein Drittel der Maximaldosis einnehme, diese aber völlig ausreicht, um die Welt um mich herum und vor allem mich wieder in einem viel helleren Licht wahrzunehmen.

Mein Psychotherapeut alleine hätte es wahrscheinlich nicht geschafft, mich umzustimmen. Er ist aber so zufrieden mit der jetzigen Entwicklung, dass wir uns sogar auf eine längere Pause zwischen meinen Sitzungen geeinigt haben. Und hatte ich vor Kurzem noch ein mulmiges Gefühl, so ganz ohne meinen Therapeuten durchs Leben zu gehen, freue ich mich jetzt sogar darauf. Ich habe es immer ein bisschen mit meiner Fahrschulzeit verglichen. Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, auch nur einen Meter ohne meinen Fahrlehrer zurückzulegen, dann wurde ich immer mutiger und nach der bestandenen Fahrprüfung war ich ganz “heiß” darauf, endlich alleine zu fahren. Und so geht es mir jetzt auch, ich bin sozusagen “heiß” darauf, meine neu erworbene Lebensqualität Schritt für Schritt alleine auszuprobieren und vor allem “auszukosten”.

Hätte ich nicht vor ein paar Monaten die Diagnose Fibromyalgie bekommen und wäre meine Hausärztin nicht so eine gute Medizinerin, würde ich bis heute noch keine dieser Tabletten anrühren. Sie kennt und begleitet mich und meine Krankengeschichte schon viele Jahre und bezieht mich immer in jede Entscheidungen mit ein. So auch dieses Mal. Als ich bei ihr vorstellig wurde, plagten mich schon seit Wochen starke Schmerzen in den Gelenken und Muskeln, ich hatte häufig Migräne, Durchfall und Schwindelgefühl. Nachdem sie alle anderen Möglichkeiten von Erkrankungen ausgeschlossen hatte, brachte sie ohne Umschweife das Thema Fibromyalgie auf den Tisch. Wo andere Ärzte diese Erkrankung oftmals nicht als solche anerkennen und die Symptome gerne mit “psychosomatisch” abtun, fing ihre Behandlung erst richtig an. Nach Rücksprache mit meinem Onkologen führte sie den Ausbruch der Krankheit auf meine Krebserkrankung und die damit verbundenen Behandlungen zurück. Forschungen belegen, dass viele Krebs- und insbesondere Sarkom-Patienten früher oder später eine Fibromyalgie entwickeln. Sie riet mir zur Einnahme von zunächst täglich 12,5 mg Syneudon und nach zwei Wochen eine Steigerung auf 25 mg. Dieses Medikament wurde ursprünglich zur Behandlung von Depressionen entwickelt, nach längeren Studien fand man jedoch heraus, dass losgelöst von depressiven Episoden, auch bei Fibromyalgie-Patienten eine enorme Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werden konnte.

Jetzt möchte ich gar nicht mehr darauf verzichten

Die Symptome sind nicht komplett verschwunden, aber wesentlich erträglicher geworden. An den meisten Tagen habe ich nur noch unterschwellig das Gefühl von Schmerzen. Bei akuten Schüben sind die Schmerzen weiterhin stark, aber zumindest die anderen Beschwerden treten deutlich vermindert auf. Und zusätzlich haben die kleinen Pillchen eben diesen positiven Effekt auf meine angeschlagene Psyche.

Konnte ich vor einigen Monaten die Frage nach meinen Hobbys nur peinlich berührt und etwas unsicher mit einem Schulterzucken und den Worten: “Weiß nicht, ich habe keine.” beantworten, entwickele ich inzwischen eine gewisse Leidenschaft für verschiedene Dinge. Und vor allem habe ich unbändige Lust etwas zu tun. Mein Psychologe lachte, als ich ihm, offensichtlich selbst erstaunt über diese Entwicklung, erzählte, dass ich soziale Kontakte pflegen würde. Einfach so, ohne darüber nachzudenken, ob ich es schaffe, zu einem Treffen wirklich zu erscheinen, ohne vorher abzusagen. Und dass ich sogar zwei Wochenendtrips hintereinander geplant und sogar durchgeführt habe. Es macht mir wieder Spaß und Freude mich mit Freunden zu treffen und Unternehmungen zu planen.

Ich habe wieder angefangen zu stricken und finde es toll und entspannend zu sehen, wie wunderschöne gestrickte Sofakissen unter meinen Händen entstehen. Ich lese regelmäßig Bücher und Zeitschriften, ohne nach kurzer Zeit die Konzentration zu verlieren. Und ich plane Dinge im Voraus, wie zum Beispiel die Gestaltung unseres Gartens.

Eine Einschränkung jedoch gibt es nach wie vor. So gut die Tabletten auch gegen meine “Neuerkrankungen” helfen, so versagen sie leider bei den Nebenwirkungen meiner Krebsbehandlung. Ich habe natürlich auch nicht erwartet, dass ich jetzt das allumfassende Wundermittel gegen alles verabreicht bekomme. Das wäre doch etwas zu viel verlangt. Und so nehme ich sie hin, die Tage an denen es mir körperlich einfach schlecht geht. Meist kommen die Nebenwirkungen heimtückisch von hinten aus dem Nichts angeschlichen und schlagen dann voll zu. So kann es mir Morgens (für meine Verhältnisse) fantastisch gehen und mittags geht dann plötzlich gar nichts mehr. Manchmal legen sie mich nur für ein paar Stunden lahm und manchmal für Tage. Das nervt schon ganz gewaltig. Aber auch damit gehe ich mittlerweile etwas gelassener um, ich kann es ja sowieso nicht ändern.

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1 Kommentar

  • Aber im großen und ganzen hört sich das sehr gut an. Schön, das es auch Ärzte gibt, die mitdenken ✌

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